Purpose-Orientierung

Die Differenzierung zwischen Zweck und Ziel

Auf dem Weg zu einer gesunden und lebendigen Organisationsform richten sich viele Unternehmen an den Erkenntnissen und Empfehlungen aus Frederic Lalouxs Buch „Reinventing Organizations“ aus. Auch mich hat dieses Buch sehr fasziniert. Es bestärkt mich dabei, Organisationen aus einer systemischen Sicht zu betrachten und ihre komplexen Wechselwirkungen nicht mit einer mechanistischen Betrachtungsweise zu vereinfachen. Aber um die Potentiale eines selbstorganisierten Unternehmens auszuschöpfen, reicht es nicht aus, agile Methoden in der Organisation einzuführen, vielmehr müssen grundlegende Bausteine bearbeitet und die Ergebnisse im Selbstverständnis des Unternehmens etabliert werden. Ein nicht unwesentlicher Baustein hierbei ist die Organisation und ihre strukturellen Elemente auf ihren jeweiligen Zweck, neudeutsch „Purpose“ auszurichten. Es geht darum, den Sinn - wofür gearbeitet wird - in den Mittelpunkt zu stellen und dafür zu sorgen, dass die Mitarbeitenden ihn für sich und ihre Arbeit auch als „sinn-voll“ erleben, die Organisation sich daran ausrichtet und ihn als Steuerungsgröße nutzt. (Warum die Purpose-Orientierung sinnvoll ist und welchen Nutzen Organisationen und die Menschen darin für sich erleben, werde ich in einem späteren Blogbeitrag sowie in meinem Podcast konkreter erläutern.)

Bei meiner Arbeit als Organisationsberater mache ich oft die Erfahrung, dass sich viele Menschen mit dem Finden des Zweckes und einer sinnstiftenden Zweckformulierung schwer tun. Oft verschwimmen die Grenzen zwischen Maßnahmen, Zielen und dem Zweck. Ziel und Zweck gehören schon irgendwie zusammen.

Folgende vereinfachte Definition kann eine Hilfestellung sein:

Ziel: Ist ein antizipierter zukünftiger Zustand als Ergebnis von Maßnahmen und Handlungen.

Zweck: Gibt den Grund (Sinn) an, wofür die Handlungen durchführt werden, oder wofür eine Organisation / ein Bereich überhaupt existiert – also eine Art Ur-Kausalität.

Ich möchte die Differenzierung zwischen Ziel und Zweck an Beispielen verdeutlichen:

Sie haben einen Schlüssel verloren. Selbstverständlich werden Sie den Schlüssel suchen, denn Sie wollen ihn ja wieder haben, um einen größeren Aufwand zu vermeiden (Schlüsseldienst holen, Schlösser austauschen, …). Der Zweck ist also den Aufwand so gering wie möglich halten.  Die Suche hat aber zum Ziel, den Schlüssel zu finden. Die Suche kann dann zwecklos werden, wenn keine Aussicht auf Erfolg besteht, den Schlüssel überhaupt zu finden.

Nun noch ein zweites Beispiel aus dem Unternehmensalltag:

Sie beauftragen einen Mitarbeiter einen Nagel in die Wand zu schlagen, um daran ein Bild im Seminarraum aufzuhängen. Der Mitarbeiter kommt zurück und fragt Sie, wo er das Bild denn aufhängen soll. Sie haben das Gefühl, alles selber tun zu müssen, weil selbst die einfachsten Aufgaben ohne Ihr persönliches Zutun nicht funktionieren. Typischer Fall von Mikromanagement und Führungskräften, die sich um alles kümmern müssen, daher so viel zu tun haben, dass sie nicht zu den eigentlich wichtigen Themen kommen und keiner übernimmt Verantwortung. Hier hilft es, sich mit Zweck und Ziel zu beschäftigen.

Das Bild an die Wand zu hängen, wäre das Ziel. Es entspricht zwar nicht einer exakten smarten Zieldefinition, die würde lauten: Bis kommenden Freitag e.o.b. hängt das Bild im Seminarraum. Die dafür notwendige Maßnahme/Tätigkeit ist den Nagel in die Wand zu schlagen. Wenn der Zweck nicht klar ist, wird es unweigerlich zu Rückfragen kommen. Der Zweck kann heißen, um den Raum zu verschönern. Unter diesem Zweck kann der Mitarbeiter nach eigenem Gesichtspunkt die Auswahl des Ortes vornehmen, an dem das Bild aufgehängt wird. Er kann sogar überlegen, ob das mit dem Nagel sinnvoll ist oder ob er doch besser eine Fotoleiste installiert, weil das schöner aussieht.

Ändert sich der Zweck, könnte das gleiche Ziel und die gleichen Maßnahmen zu anderen Ergebnissen führen. Wenn der Zweck z.B. ist, die Sicherheit der Seminarteilnehmer im Seminarraum zu erhöhen und das Bild den Notfallplan darstellt, wird das Bild eher in der Nähe des Eingangs positioniert werden, als wenn der Zweck die Verschönerung des Raumes ist.

Die Beispiele verdeutlichen, dass Zweck und Ziel zwar nahe beieinander liegen, sich aber dennoch unterscheiden.

Die Erfahrung lehrt, dass bei der Erarbeitung des Zwecks zunächst Aufgaben oder Ziele formuliert werden. Durch wiederholtes Fragen nach dem „Wofür“ beginnt sich dann der Zweck herauszukristallisieren. Erst recht dann, wenn es noch einen darüber liegenden Zweck wie beispielsweise einen Unternehmenszweck gibt.

Ich hoffe, mit diesem kurzen Beitrag etwas mehr Licht ins Dunkel der Zweckfindung gebracht zu haben. Sollten Sie eigene Erfahrungen und Erkenntnisse zu diesem Thema haben, schreiben Sie diese gerne in die Kommentare. Darüber hinaus können Sie auch gerne weitere Fragen und Anregungen per Mail an mich richten.

Autor

Alfred Doll

Nein, man muss nicht zwangsläufig demonstrieren gehen oder sich an Bäumen festketten, um ein Aktivist zu sein. Karl Popper definiert Aktivismus als „Die Neigung zur Aktivität und die Abneigung gegen jede Haltung des passiven Hinnehmens.“ Sich intensiv mit dem Thema Führung auseinandersetzen, Systeme analysieren, hinterfragen und dabei aktiv beeinflussen – das tut Alfred Doll nunmehr seit 40 Jahren. Er ist Informatiker mit den Schwerpunkten Künstliche Intelligenz und Komplexitätsanalysen und hat eine philosophische Führungsbildung bei dem Jesuitenpater Rupert Lay genossen. Er war Offizier der Bundeswehr und in der AMF-„NATO-Feuerwehr“. Als Vorstand, Führungskraft und Manager war er in leitender Funktion in Konzernstrukturen, im Mittelstand und auch in Start-up-Unternehmen tätig. Über 18 Jahre begleitete er als Berater und Coach Unternehmen und ihre Führungskräfte unter dem Motto „Changes to grow“. Darüber hinaus war er Initiator und Mitbegründer des Ethikverbands der deutschen Wirtschaft. Er weiß, was in der Praxis wirkungsvoll ist, wie man Menschen fördern und Performance steigern kann und kennt die Herausforderungen der Organisationsentwicklung und Kulturveränderung. Als Systemaktivist stellt er jetzt seine fundierte Expertise zur Verfügung – als Diskussionspartner, Impuls- und Ratgeber vor Ort und publizistisch als Blogger, Podcaster und Buchautor.